II. Geschichte der Freien Evangelischen Gemeinde in Soest bis Mai 1974

Die Geschichte der Freien Ev. Gemeinde in Soest folgt im wesentlichen den Ausführungen von Frau Else Huck (geb.1910 – verst. 2010), die sie 1984, zehn Jahre nach der Vereinigung der Freien Ev. Gemeinde mit der Freikirchlichen Ev. Gemeinde (Baptisten) dankenswerterweise aus ihrer Erinnerung verfasste.

Die ersten Anfänge unserer Freien Evangelischen Gemeinde in Soest gehen zurück bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts (19.Jhd.!). Eigentlicher Träger und Förderer in dieser Zeit war Bruder Wulf in Borgeln, ein Bruder meiner Großmutter mütterlicherseits. Er war in seiner Jugend zum lebendigen Glauben an den Herrn Jesus Christus gekommen und bezeugte sein Erlebnis freudig vor allen Menschen, denen er begegnete. Bei seinen treuen Kirchenbesuchen bemerkte er immer mehr, wie widersprüchlich sich die Predigten des Pfarrers und dessen Wandel im täglichen Leben zum Wort und Gebot der Bibel verhielten. Er suchte nun bei jeder Gelegenheit im Gespräch mit dem Pfarrer die Widersprüche zu klären, was jedoch böse Feindschaft mit ihm einbrachte.

Als guter Handwerker kam er auch tagsüber mit vielen Menschen zusammen. Er fand auf diesem Wege Glaubensgenossen, zumeist aus dem Kreis der Blaukreuzler, die mit dem Blaukreuzhof in Eilmsen bei Welver und mit einer Familie Rinke in Soest am Dörmen in Verbindung standen.

Dann wurde man mit einer älteren, gläubigen Dame, Fräulein Patzen, bekannt. Sie öffnete ihr Wohnhaus in der Wilhelmstraße in Soest für die Zusammenkünfte des Geschwisterkreises. Dorthin gingen auch das Ehepaar Wulf, meine Großmutter, die Witwe Marie Jaspert mit Sohn Heinrich Jaspert und mit meiner Mutter, wo sie sich mit noch weiteren, inzwischen hinzugekommenen Gläubigen zum Austausch über Gottes Wort und zum gemeinsamen Gebet regelmäßig zusammenfanden. Später wurde auch das Herrenmahl gefeiert.

Zwar fehlen darüber schriftliche Aufzeichnungen, doch können diese anhand von familiären Begebenheiten und durch mündliche Überlieferungen zum Teil ergänzt werden. So läßt sich daraus verfolgen, daß die ersten Zusammenkünfte in den Jahren zwischen 1880 und 1890 begannen. Auch aus der Geschichte der Freien Evangelischen Gemeinde in Hamm läßt sich erfahren, daß die Soester Geschwister bereits in den Jahren 1891/92 enge Verbindung dorthin hatten.

In Welver waren es die Familien Naujokat, Andreas Kothe und Richard Zurmühl. Sie standen ebenso wie Soest mit den Hammern in Verbindung.

Am 10.3.1893 schlossen sich die Geschwister in Hamm zu einer Freien Evangelischen Gemeinde zusammen. Der in Soest inzwischen vergrößerte Kreis vollzog diesen Schritt zwischen 1896-1898; jedoch gehörte dieser kleine Kreis zum Außenbezirk der Gemeinde Hamm und zusammen mit dieser zum Bund Freier Evangelischer Gemeinden in Witten. Erst in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg – etwa zwischen 1920 – 1925 löste sich die Gemeinde in Soest vom Verbund mit Hamm und schloß sich als selbständige Gemeinde dem Bund Freier Evangelischer Gemeinden in Witten an.“

 

Prediger der Freien Evangelischen Gemeinde Hamm und Umgebung

Erst 1893 bekamen die Gemeinden „Hamm und Umgebung“ einen eigenen Prediger, Gustav Klein (bis 1909). Als 2. Prediger wurde Richard Zurmühl eingestellt. Inzwischen gehörte auch Unna zu diesem Gemeindeverband. Es folgten die Prediger Heinrich Rüger und neben ihm Otto Schopf. 1913 verließ Heinrich Rüger den Gemeindeverband.

Während des 1. Weltkriegs war dieser Gemeindeverband ohne Prediger. „In den einzelnen Gemeinden war es üblich, am Sonntagmorgen eine Bibelbesprechung, unter der Beteiligung mehrerer Brüder, zu halten und zum Nachmittag einen auswärtigen Bruder kommen zu lassen. Unter anderem dienten uns in der Zeit die Brüder Millard, Bussemer, Dahlheimer. Br. Millard erteilte auch Gemeinde-Kinderunterricht. Man half sich also während der Kriegsjahre so gut es ging. Nach der Inflation war es finanziell unmöglich, einen Prediger zu berufen. Dann schenkte Gott einen Ausweg, an den niemand gedacht hatte.“

Prediger Friedrich Fries hatte den Bundesverlag Witten und die Druckerei geleitet. Diese Werke gerieten während der Inflation in Schwierigkeiten, denen Friedrich Fries nicht gewachsen war und er wandte sich wieder der Verkündigung zu. Im März 1921 trat er seinen Dienst in Hamm an. Er knüpfte Verbindungen mit Gemeinden der Umgebung: mit Münster, Gütersloh, Warstein, Schwerte und Asseln, wo er auch Gemeindeunterricht erteilte. Im Oktober 1924 bekam Friedrich Fries Unterstützung von dem jungen Prediger Gustav Tavenrath aus Neukirchen. „Ab 1925 diente Br. Fries nur noch in Hamm, an den übrigen Orten Br. Tavenrath. Ein weiterer größerer Kräfteverfall nötigte Br. Fries, im Juli 1926 seinen Dienst ganz aufzugeben. Am 23. 9. 1926 ging er im Frieden heim“. Seinen Platz übernahm Gustav Tavenrath bis er im Oktober 1929 ganz aus dem Predigtamt ausschied. Ihm folgte schon ab 1926 Hermann Möller für die Dienste in den Gemeinden Hamm, Welver, Soest und Unna bis 1937. Sein Nachfolger wurde Hermann Sluiter, der aber am 28.8.1939 als Sanitäter zu Wehrdienst eingezogen wurde. Während des Krieges hatten die Gemeinden keinen vollzeitigen Prediger.

Schon im November1938 wurden hier in Soest, auf Anregung des BfC (christliche Versammlung) Besprechungen über monatliche Allianzstunden eingeleitet. „Am 18.1.1939 fand die erste gemeinsame Allianzstunde im Saale der Freien Ev. Gemeinde, Widumgasse 10 statt. Die Jugend fand sich ebenso zusammen. Im Februar 1939 war unsere Gemeinde erstmalig zu Gast beim BfC (Anm.: Bund freikirchlicher Christen: Brüdergemeinde) zur Feier des gemeinsamen Herrenmahls. Im März evangelisierte Br. Hans Schlumberger, Oberhausen, woran sich auch der Kreis des BfC beteiligte. Da öffentliche Bekanntmachungen untersagt waren, konnten wir nur durch persönliche Einladungen Gläubige und Bekannte erreichen.

Vergessen werden dürfen nicht die nach dem 1. Weltkrieg von Br. Carl Naujokat in Welver ins Leben gerufenen jährlichen Gesangfeste im Saale Wiemer, Buchenwald in Welver. Dort trafen sich nicht nur die Chöre des Märkischen Kreises, ja, man hatte auch den Chor der Freien Ev. Gemeinde Dortmund oder auch Langendreer zu Gast. In Langendreer war August Klotz zu Hause, der als Sängerwart den Chören des Christlichen Sängerbundes diente. Doch mit Beginn des 2. Weltkrieges war alles zu Ende, weil viele Brüder gleich zu Beginn zum Wehrdienst einrückten.

Ab Januar 1939 wurde erstmalig ein Gemeindemitgliederverzeichnis angelegt. Anfang 1924 hatte die Gemeinde in Soest 30 Mitglieder, im November 1938 waren es 37, im Oktober 1945 33 Mitglieder.

Nach einer Bekanntgabe der Reichsregierung im September 1939 mußte zum Schutze für Besucher von Kirchen und Kapellen in der Nähe ein geeigneter Luftschutzraum vorhanden sein. Da das bei uns nicht gewährleistet war, hatten wir zuerst an den völligen Ausfall der Gottesdienste gedacht. Doch fanden wir es richtiger, einmal am Sonntagmorgen zusammenzukommen und die anschließende Sonntagsschule beizubehalten.

Es kam der Gemeinde zugute, daß Soest eine Garnisonstadt war. So kamen schon mal gläubige Brüder, die uns mit dem Wort dienen konnten. In besonderer Erinnerung blieb uns Br. Utsch, der uns diesen Dienst mehrere Male tat. Unter den uns von außen dienenden Brüdern waren u. a. Br. Georg Hagen, Br. Bunte, Br. Wöhrle und Br. Mosner, Witten, sowie Br. Schürenberg (damals Dortmund). Bereits vor dem Krieg hatten wir auch Verbindung mit Brüdern des Blaukreuzvereins Barmen, die einmal im Monat sonntags zu uns kamen.


Der Zionssal

Wie anfangs erwähnt, hatte einige Jahre vor der Jahrhundertwende Fräulein Patzen ihr Haus für die Zusammenkünfte zur Verfügung stellen können, doch dann erkrankte sie schwer und starb nach langem Krankenlager. Nun mußte sich der inzwischen vergrößerte Kreis nach einem anderen Raum umsehen. Zunächst konnte er sich wechselnd in einigen Familien versammeln. Doch dann half der Herr weiter: Die Witwe des Gymnasiallehrers Mundhenk besaß einen Saal in der Widumgasse, den sie für jeweils drei Jahre einem Herrn Böhmer vermietet hatte. Im Jahr 1904 schenkte sie der kleinen Freien Ev. Gemeinde ihren „Zionssaal“ (Grundbuchlich eingetragen am 24.6.1901 beim Amtsgericht Witten.) Dieser Saal wurde etwa in den Jahren 1823 – 34 ? erbaut und hatte zuletzt den Verwundeten des Krieges 1870/71 als Lazarett gedient. Gegen Ende des 1. Weltkrieges diente er vorübergehend nochmals als Lazarett. Während dieser Zeit traf sich die Gemeinde zu allen Veranstaltungen bei der Familie Schröder am Vreithof, die als Baptisten mit der Freien Ev. Gemeinde enge Verbindung hatte.

Der damals schon sehr alte „Zionssaal“ verursachte der Gemeinde laufende und hohe Reparaturkosten. Nach unseren heutigen Vorstellungen von Gemeindehäusern hätte man den unmöglich hohen und schmucklosen Raum eher mit einer Lagerhalle vergleichen können. 2 Koksöfen, die zur Beheizung aufgestellt waren, konnten nicht verhindern, daß die zwischen ihnen sitzende Gemeinde sonntags vor Kälte zitterte. Die Bibelstunden in der Woche waren immer im Hause der Familie Wagener, Osthofenstraße 51. Im Jahre 1926 entschloß man sich wegen der besseren Beheizung zum Einbau einer Zwischendecke. Leider schädigten Wind und Wetter das baufällige Gebäude immer mehr. Gegen Ende des 2. Weltkrieges mußte die Gemeinde den „Zionssaal“ erneut für verwundete Soldaten freigeben. Doch dann wurde er im Bombenhagel, der am 5.12.1944 auf die Stadt und den nahegelegenen Güterbahnhof niederging, so schwer beschädigt, daß an eine Intstandsetzung nicht mehr zu denken war.

Für kurze Zeit entfielen die regelmäßigen Zusammenkünfte, weil auch einige Geschwister ausgebombt waren. Eine Schwester, die schon einige Zeit vorher nicht mehr am Gemeindeleben teilnahm, wurde am 5. 12. 44 bei einem Bombenangriff getötet. Zunächst fanden wir uns mit den Geschwistern des BfC in deren Lokal zusammen. Hin und wieder versammelten wir uns zu den Bibelstunden in der Woche wechselweise in einigen Familien.“


Die Nachkriegszeit

Hermann Sluiter kam früh aus der Gefangenschaft zurück und trat am 1. Oktober 1945 seinen Dienst als Prediger in der Gemeinde Hamm an.

Else Huck schreibt weiter: „Ab Frühjahr 1946 stellten uns Geschwister Friedrich Diehl in der Herzog-Johann-Straße ihren Wohnraum für alle Gemeindeveranstaltungen zur Verfügung. Einige Brüder waren aus der Gefangenschaft zurückgekehrt. Wir konnten auch viele neue Geschwister begrüßen: es waren Heimatvertriebene, die zu uns kamen. Br. August Klotz jr. leitete den inzwischen gebildeten gemischten Chor. So füllten sich die kleinen Räume, in denen es manchmal beängstigend eng wurde.

Darum faßte man 1946 erstmalig den Entschluß zu einem Gemeindehaus - Neubau. Die alten Ruinen wurden aufgeräumt und gegen Eindringlinge abgesichert.

Br. Richard Dörmann erklärte sich bereit zur Fertigung eines Bauplanes. Am 19.5.1947 wurde mit dem Abbruch des alten Hauses begonnen. Im August 1948 begann man mit dem Ausschachten des Fundamentes und der Kellerräume. Das alte Gebäude besaß diese nicht. Leider wurden die sorgsam gesparten Geldmittel von der neuen Währung aufgezehrt.

Schw. Else Huck, als Vertrauensperson zwischen der Gemeinde und der Sparkassen des Bundes Freier Ev. Gemeinden in Witten, wurde deshalb beauftragt, bezüglich Aufnahme eines Darlehens Informationen bei der Sparkasse einzuholen. 1949 wurde mit dem Ausbau des Fundamentes und des Kellers begonnen. Weitere Arbeiten wurden wegen Geldmangels zunächst eingestellt. Aber Ende 1949 wurde bei der Spar –und Darlehnskasse unseres Bundes in Witten ein Baudarlehen in Höhe von 5.000,-- DM beantragt. Nach inzwischen eingegangener Baugenehmigung konnten dann im Frühjahr 1950 die Bauarbeiten fortgeführt und am 9. August 1950 das Richtfest gefeiert werden.

Die Eigenleistungen wurden durchschnittlich von 12 bis 14 Brüdern erbracht, die mit viel Fleiß und Eifer ihre, oft nur wenige Freizeit opferten. So konnten die Arbeiten zusammen mit den Handwerkern im Frühjahr 1951 zum größten Teil abgeschlossen werden. Zu einer Lob- und Dankversammlung fanden wir uns am 23. März 1951 erstmalig im teilweise fertiggestellten neuen Gemeindehaus ein. Am 3.5.1951 fand die Einweihung des neuen Gemeindehauses in Verbindung mit der Kreiskonferenz des Märkischen Kreises statt. Bundespfleger Br. Karl Glebe, Frankfurt hielt die Festansprache über Ps.34, 1-5. Grußworte sprachen: Br. Wöhrle, Witten, Vertreter der Schwestergemeinden der näheren Umgebung, von der Landeskirchlichen Gemeinschaft Philadephia, vom BfC und von der neugegründeten Baptistengemeinde Soest. Zum gemeinsamen Mittagessen wurden im nahe liegenden Hotel 184 Gäste bewirtet.

Im oberen Stockwerk wurde ein kleiner Saal für Bibelstunden, Jugend- und Chorarbeit eingerichtet. Am 26.4.1953 gab Br. Sluiter, Hamm, seinen Dienst in Soest auf, um sich ganz seinen Aufgaben in den übrigen Gemeinden des Märkischen Kreises zu widmen. Für seinen Nachfolger Br. Paul-Gerhard Kauffenstein wurde im oberen Stockwerk eine Wohnung ausgebaut. Doch verließ er uns schon 1954. Ihm folgte 1955 Br. Fritz Heiligenhaus, der bis dahin in der Gemeinde Gönnern (Hessenland) tätig war. Er wurde von Br. Heinz Straßner abgelöst, der uns bis 1965 diente. Es folgten als Prediger die Brüder Helmuth Jablonski (1961-1972) und H. Jürgen Söhlke (1972 – 1975). Sie dienten uns zweimal sonntags im Monat, in der wöchentlichen Bibelstunde und sie erteilten Gemeindekinderunterricht.

Während der Nachkriegsjahre traf sich unsere Gemeindejugend mit der Jugend der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (Baptisten). Zu unserer Sonntagschule kamen viele Kinder, teilweise 30-80. Von denen mussten viele mit dem Auto abgeholt und wieder nach Hause gebracht werden. Mehrere Jahre wurde parallel zur Gemeinde in Soest auch in Meckingsen bei Familie Jaspert durch die Brüder Manfred und Erhard Diehl Sonntagschule gehalten.

In der langen Geschichte der Gemeinde hat es manches „Auf und Ab“ gegeben. Der Stamm der Gemeinde bestand zumeist aus älteren Geschwistern . Immer wieder bildete sich doch ein Jugendkreis. Jedoch war das nie von längerer Dauer, weil die jungen Leute, bzw. die jungen Familien aus beruflichen Gründen in Soest kein Weiterkommen sahen und deshalb Soest und damit die Gemeinde wieder verließen. So hatten wir in den fünfziger Jahren einmal in kurzer Zeit ca. 12 Abgänge von tatkräftigen Mitgliedern und den Tod alter bewährter Geschwister zu beklagen.

Es wirkte sich auch nachteilig aus, daß die Gemeinde nicht mehr imstande war, einen eigenen Prediger-Bruder zu berufen. Die noch zur Gemeinde gehörende Brüder waren durch Alter, Beruf oder Krankheit sehr belastet. Leider fehlte ihnen auch die Gabe für die Wortverkündigung.

Dadurch waren wir ständig auf den Dienst auswärtiger Brüder angewiesen. So ging die Zahl der Mitglieder weiter zurück. Vor etwa 14 bis 15 Jahren kamen wir mit den Geschwistern der Evangelisch Freikirchl. Gemeinde überein, regelmäßig einmal im Monat sonntags einen Allianzgottesdienst zu haben. Später folgten dann gemeinsame Bibelstunden.

Es wurde dann von beiden Seiten angeregt, daß sich beide Gemeinden zu einer Gemeinde vereinigen sollten. Nach langen und vielen Beratungen und einer ca. zweijährigen „Verlobungszeit“ vollzogen wir diesen Schritt am 5.5.1974.“

Hier enden die Aufzeichnungen von Frau Else Huck zur Geschichte der Freien Ev. Gemeinde Soest.