Monatsandacht Mai 2021

Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen!
Spr 31,8 (E)

Kennt ihr König Lemuel? Wahrscheinlich nicht. Und so werdet ihr auch nicht seine Mutter kennen, was schade ist, denn sie war eine sehr weise Frau aus Massa. Wo Massa liegt? Weiß man nicht. Doch keine Frage: die Mutter des ansonsten völlig unbekannten König Lemuel, eines Nicht- Israeliten, war klug. Und sie hat ihrem Sohn, dem König, Lebensweisheiten mitgegeben, die ihm helfen sollten, gut zu regieren. Die Worte dieser Frau waren so gut, dass sie Eingang in unsere Bibel gefunden haben. Und zwar in dem Buch der Sprichwörter oder Sprüche Salomons genannt, eine Sammlung unterschiedlichster Weisheiten. Ihre Worte schließen dieses Buch sogar ab, Kapitel 31, Vers 1: "Dies sind die Worte Lemuels, des Königs von Massa, die ihn seine Mutter lehrte."

Nun könnten wir natürlich einfach sagen: Dieser Ratschlag geht an einen König, einem Herrscher, damit kann ich ja nicht gemeint sein! Dazu ein einfacher Gedanke, mit einem Schmunzeln zu lesen: In Deutschland leben wir in einer Demokratie! Demokratie bedeutet, dass das Volk regiert: Artikel 20 unseres Grundgesetzes: "(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Es gibt also nicht mehr den König, sonder uns "Regenten". Deswegen können wir diesen Ratschlag an einen König direkt auf uns anwenden.

Nun ist in diesem Buch der Weisheiten viel von Zurückhaltung und Höflichkeit die Rede. Z.B. dieser Vers: "Hochmut erniedrigt den Menschen, doch der Demütige kommt zu Ehren." (Spr. 29,23 Einheitsü.) Ein Weiser lässt sich Zeit, bevor er den Mund aufmacht.

Doch immer wieder blitzt auch eine andere Seite des Redens in diesem Weisheitsbuch auf. Es gibt eine Grenze für die normale Zurückhaltung. Die ist erreicht, wenn es um Unrecht und Unterdrückung geht. Da gilt es, den Mund aufzumachen und zu reden. Da gilt es, nicht zu schweigen, sich nicht an dem allgemeinen Wegsehen unserer Gesellschaft zu beteiligen.

Auch für Dietrich Bonhoeffer war dieser Satz wichtig. Bereits 1934 schreibt er an einen befreundeten Pfarrer: "Es muss auch endlich mit der theologisch begründeten Zurückhaltung gegenüber dem Tun des Staates gebrochen werden – es ist ja doch alles nur Angst. 'Tu den Mund auf für die Stummen' Spr. 31,8 – wer weiß denn das heute noch in der Kirche, dass dies die mindeste Forderung der Bibel in solchen Zeiten ist?"

In dem Buch "Nachfolge" von 1937 betont Bonhoeffer: "Verweigert die Welt Gerechtigkeit, so wird er [der Christ] Barmherzigkeit üben, hüllt sich die Welt in Lüge, so wird er seinen Mund für die Stummen auftun und für die Wahrheit Zeugnis geben. Um des Bruders willen, sei er Jude oder Grieche, Knecht oder Freier, stark oder schwach, edel oder unedel, wird er auf alle Gemeinschaft der Welt verzichten; denn er dient der Gemeinschaft des Leibes Christi."
Ja, es kann etwas kosten - selbst heute noch - sich für "schwache" und "stumme" Menschen einzusetzen. Doch es zählt zu unseren Aufgaben als Christ. Oder zu unseren Aufträgen als Gemeinde, das D von Edga: "Menschen helfen durch Diakonie und Weltverantwortung".

Wo bin gefordert? Wo gibt es Menschen, die übersehen werden? Für welche Menschen soll ich mich einsetzen?

Gebet:
Herr,
... öffne du mir die Augen, damit ich die Schwachen sehe!
... öffne du mir die Ohren, damit ich die Stummen höre!
... öffne du mir mein Herz, damit Mut aus ihm fließt!
... öffne du mir meinen Geist, damit ich die richtigen Worte finde!
... öffne du mir meinen Mund, immer wenn mein Bewusstsein Unrecht wahrnimmt!
... öffne du mir meine Hände, damit ich anfasse, was angeschlagen ist.
Und Herr, zeige du dich mir im geringsten meiner Brüder und Schwestern...
... jeden Tag aufs Neue!
Amen

Heddo Knieper